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Hintergrund
Zwischen dem Balkankrieg von 1912/13 und dem Bürgerkrieg
im ehemaligen Jugoslawien Anfang der neunziger Jahre wurden in Europa
über 80 Millionen Menschen gezwungen, ihre Heimat zu verlassen. ‚Vertreibung‘
nennen dies die Opfer, ‚ethnische Säuberung‘ die Täter. Griechen, Türken,
Finnen, Balten, Russen, Ukrainer, Polen, Tschechen, Slowaken, Slowenen,
Deutsche, Ungarn, Bosnier, Kroaten, Albaner, Serben – es gibt kaum eine
ethnische Gruppe in Mittel- und Südosteuropa, die im ‚Jahrhundert der
Vertreibung‘ nicht betroffen gewesen wäre.
Den größten Massenexodus in Europa löste der Überfall
des nationalsozialistischen Deutschlands auf Polen im September 1939
aus. Auf Basis des Hitler-Stalin-Paktes wurde Polen zwischen Deutschland
und der Sowjetunion aufgeteilt. Der Osten Polens wurde von den Truppen
der Roten Armee besetzt, der westliche Teil von der Deutschen Wehrmacht.
Für einen großen Teil der Bevölkerung im Westen Polens hieß das Tod,
Zwangsarbeit oder Vertreibung von Haus und Hof, um deutschen Umsiedlern
Platz zu machen.
In den von der Sowjetunion besetzten Gebieten wurden unter der polnischen
Bevölkerung schnell Feinde des Kommunismus ausgemacht: Tausende wurden
ermordet, Hunderttausende zur Zwangsarbeit nach Sibirien deportiert.
Durch den Angriff Deutschlands auf die Sowjetunion 1941
änderte sich für die beiden Besatzer die Situation: Aus den Verbündeten
wurden Kriegsgegner. Nicht wenige Ukrainer in den polnischen Ostgebieten
erlebten die einrückenden Truppen der Wehrmacht als Befreier vom Joch
der Roten Armee und verbündeten sich mit den Deutschen gegen die Polen.
Sie hatten ihrerseits die Polen in den Jahrzehnten seit dem Wiedererstehen
des polnischen Staates als Unterdrücker erlebt.
Nach dem Rückzug der deutschen Truppen fielen die Gebiete östlich des
Flusses Bug wieder in den Machtbereich der Sowjetunion. Als Anfang des
Jahres 1945 die Truppen der sowjetischen Armee bei ihrem Vormarsch das
Gebiet des Deutschen Reichs erreichten, flüchtete ein großer Teil der
deutschen Bevölkerung aus Ostpreußen, Pommern und Schlesien Richtung
Westen. Viele kehrten jedoch im Laufe des Frühjahres zurück – nicht
wissend, dass bei der Jalta-Konferenz der Alliierten im Februar 1945
auf Drängen Stalins die Verschiebung der Grenzen Polens nach Westen
beschlossen worden war.
Von der Neuordnung der Grenzen Mitteleuropas waren als
erste die Polen betroffen, die in den östlichen Gebieten des Vorkriegs-Polens
gelebt hatten. Zwangsweise wurden die Menschen nach Westen transportiert.
Einige konnten ihren Hausrat, sogar etwas Vieh mitnehmen. Viele aber
wurden von ihren ukrainischen Nachbarn aus dem Haus gejagt, konnten
nur einen Koffer oder das nackte Leben retten.
Die Ansiedlung der vertriebenen Polen in den ehemaligen deutschen Ostgebieten
wurde offiziell als ‚Repatriierung‘ in den ‚Wiedergewonnenen Gebieten‘
bezeichnet – unter Hinweis auf die ehemals slawische Besiedlung dieser
Region.
In Schlesien, Pommern und Ostpreußen wurde den ‚Repatriierten‘ – unter
ihnen Hunderttausende direkt aus der Deportation nach Sibirien Zurückgekehrte
– von der neuen polnischen Administration Häuser und Wohnungen zugewiesen.
Dort trafen sie auf die verbliebene deutsche Bevölkerung, die nun Platz
machen musste. In vielen Fällen lebten Polen und Deutsche ein Jahr gemeinsam
auf einem Hof oder in einem Haus – die Deutschen nun der Willkür der
Polen ausgesetzt.
Obwohl es bereits im Frühsommer 1945 zu Vertreibungen der Deutschen
gekommen war, wurde der sogenannte ‚Transfer‘ der deutschen Bevölkerung
nach Westen erst auf der Potsdamer Konferenz im August 1945 beschlossen.
Offiziell wurde eine ‚ordnungsgemäße und humane Umsiedlung‘, die von
den Alliierten kontrolliert werden sollte, gefordert. Die Realität sah
anders aus.
Insgesamt mussten in der Folge des Zweiten Weltkrieges etwa 12 Millionen
Deutsche ihre Heimat verlassen. Deutschland verlor ein Drittel seines
ehemaligen Territoriums und wurde in zwei Staaten geteilt. Über zwei
Millionen Polen waren gezwungen ihre Heimat zu verlassen. Polen verlor
im Osten fast die Hälfte seines Staatsgebietes und wurde mit den Gebieten
im Westen entschädigt.
Die deutschen Flüchtlinge und Vertriebenen aus Schlesien,
Pommern und Ostpreußen sowie aus den deutschen Siedlungsgebieten in
den nun zum sowjetischen Machtbereich zählenden Republiken Tschechoslowakei,
Ungarn und Rumänien bauten im Westen Deutschlands eigene Organisationen
auf, in denen sie Hilfe, Verbündete und Artikulationsmöglichkeit fanden.
In der DDR wie auch in der Volksrepublik Polen war das Thema Vertreibung
tabu. Erst seit der politischen Wende von 1989 ist es den Menschen dort
möglich, öffentlich über ihr Schicksal zu sprechen.
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